Raus aus dem Autopilot hin zur Selbstführung: Wie du trotz Stress und Leistungsdruck zu deiner inneren Stärke zurückfindest

Selbstführung beginnt nicht im Kalender – sondern im Kopf.

Manchmal wirkt die Welt wie eine Telenovela, die einem wirklich schlechten Drehbuch folgt: Betrug, Konflikte, Kriege, Uneinigkeit, Streit und Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Kein Wunder, dass viele sich diesem „Trash-TV-Format“ weitestgehend entziehen wollen, denn auch in der Berufswelt sind wir mit zunehmenden Stressoren konfrontiert, die uns immer öfter in den „Fight, Flight or Freeze -Mode“ bringen.

Besonders viele berufstätige Frauen erleben die innere Zerreißprobe nahezu täglich: Die To-do-Liste ist lang, der Kalender voll, das schlechte Gewissen omnipräsent. Zwischen Deadlines, Care-Arbeit, schlechten Nachrichten, schwierigen Führungskräften, anstrengenden Kollegen/Kolleginnen und dem wachsenden, inneren Anspruch, alles gleichzeitig „gut“ zu machen, Erwartungshaltungen zu erfüllen und reflektiert durchs Leben zu gehen, bleibt oft das eigene Wohlbefinden auf der Strecke. Obwohl alles „funktioniert“, fehlt die innere Verbindung – zu sich selbst, zum eigenen Körper und damit zur inneren Klarheit.

Die Folge ist nicht selten ein zunehmendes Gefühl von Leere, Reizbarkeit, Einsamkeit und/oder mentaler Erschöpfung – ein Zustand, den Psycholog*innen als „Reizüberflutung und Entscheidungsüberlastung“ beschreiben. Der sogenannte Overchoice-Effekt führt in diesem Zusammenhang dazu, dass wir bei zu vielen Möglichkeiten (digitalen Reizen, Erwartungen, Rollen) zunehmend den Zugang zur eigenen Intuition verlieren (Iyengar & Lepper, 2000; Scheffel et al., 2022).

Was dagegen hilft, ist keine neue Methode, eine App oder sonstige Wundermittel, sondern ein Perspektivwechsel: Weg vom ständigen Tun, hin zum bewussten Sein.

Die fünf inneren Blockaden, die uns aus dem (mentalen) Gleichgewicht bringen

„Das Gehirn entwickelt sich in die Richtung, in die du es trainierst.“

Bist du also besonders gut darin, durch TikTok zu scrollen und Netflix zu schauen, weil du es täglich tust, kannst du sicher sein, dass dein Gehirn genau in diesen Disziplinen in Zukunft besser werden wird.

Wir dürfen also nicht vergessen, dass unsere sich wiederholenden Handlungen unseren mentalen Zustand beeinflussen und dieser wiederum seine Wirksamkeit entfaltet, wenn es darum geht, wie klar wir Entscheidungen treffen, wie wir mit anderen kommunizieren, was wir lernen (oder auch nicht) und ob wir uns selbst als wirksam erleben. Dabei lassen sich fünf wiederkehrende Blockaden beobachten, die auch der Shi Heng Yi in seinem TedTalk in ähnliche Form beschreibt:

Sinnesüberflutung

Ständiges Checken von Nachrichten, Scrollen durch Social Media oder Multitasking führt zu Dauerablenkung. Studien der Techniker Krankenkasse zeigen, dass 30 % der Berufstätigen sich durch ständige Erreichbarkeit stark gestresst fühlen (TK Stressstudie, 2021). Achtsamkeitstraining senkt hierbei nachweislich das Stresslevel (Hölzel et al., 2011; Deutsche Gesellschaft für Achtsamkeit, 2020) und sollte deshalb zielgerichtet angewendet werden.

Reizbarkeit und emotionale Überforderung

Wer bei sich selbst spürt, dass die Selbstregulation im Hinblick auf die eigenen Gefühle schwieriger wird, kann hier bewusst atmen und die eigene Reaktion wahrnehmen, bevor sie passiert, denn hierdurch gewinnt man an emotionaler Souveränität zurück. Laut einer Studie der Universität Gießen kann emotionale Selbstregulation trainiert werden – durch gezielte Körper- und Atemübungen (Kanske et al., 2017). Wenn du also bei den kommenden Nachrichten eine innere Anspannung fühlst und am liebsten „an die Decke gehen würdest“, hilft tatsächlich der gute alte Trick innerlich bis 10 zu zählen (im Notfall auch nochmals rückwärts), bevor man dem Impuls der Wut nachgibt.

Mentale Erschöpfung trotz Schlaf

Dieses Phänomen ist bekannt als „cognitive fatigue“. Mikro-Pausen von nur zwei Minuten während des Arbeitstags können die mentale Leistungsfähigkeit deutlich erhöhen (Zijlstra et al., 2014). Auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) empfiehlt in diesem Zusammenhang explizit regelmäßige Erholungszeiten zur Prävention mentaler Erschöpfung (BAuA, 2020). 

Fazit: Augen ab und an vom Bildschirm abwenden, sich ein Buch, ein gutes Musikstück oder gleich einen kleinen Spaziergang gönnen und wenn all das nicht möglich ist: Den Gang zur Toilette nutzen, um sich gezielt zu strecken und den Augen (und hierdurch auch dem Körper) eine Pause zu gönnen.

Innere Unruhe

In einer Kultur, die sich vor allem auf „Ergebnisorientierung“ fokussiert, fällt es schwer, wirklich zur Ruhe zu kommen. Studien der Universität Konstanz zeigen, dass gezieltes Single-Tasking nicht nur die Konzentration fördert, sondern auch Stress reduziert (Schmidt et al., 2021). Wir wissen mittlerweile schließlich alle, dass Multitasking gar nicht funktioniert, stattdessen werden einfach mehrere „Aufgaben-Tabs“ geöffnet und du springst einfach zwischen diesen hin und her, ohne wirklich fokussiert an etwas zu arbeiten und vielleicht sogar in den berühmten „Flow“- Zustand zu kommen.

Zweifel und das Gefühl, nie (gut) genug zu sein

Das Impostor-Syndrom (auch Hochstapler*innen-Syndrome genannt) betrifft laut Studien besonders häufig hochqualifizierte Frauen (Bravata et al., 2020) und ist ein echtes Problem, da es zu den eh schon vorhandenen strukturellen Problemen eine weitere Herausforderung auf dem beruflichen Weg vieler Frauen darstellt. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum bestätigt, dass Selbstreflexion und das Erkennen eigener Erfolge die Selbstwirksamkeit hierbei stärken (Stark et al., 2022) kann. Kurz innezuhalten und sich selbst vor Augen zu führen, was man heute, diese Woche oder diesen Monat geschafft hat ist also keine „Ego-Nummer“ bei welcher man sich selbst beweihräuchert, sondern eine aufrichtige Reflexion die uns vor Augen führt, dass „Erfolg“, was auch immer das im Einzelnen für jeden Menschen bedeuten mag, kein Zufall ist und auch die Zwischenschritte zu diesem Anerkennung verdienen.

R.A.I.N.: Eine Methode zur emotionalen Selbstführung

Natürlich wissen wir in diesem Zusammenhang, dass alteingesessene Glaubensmuster jetzt nicht einfach aufgelöst werden, aber zumindest kann man diesen mit bewusster Achtsamkeit entgegenwirken, um die fünf Blockaden bewusst wahrzunehmen und diesen souverän zu begegnen. Die sogenannte R.A.I.N.-Methode hilft in diesem Kontext besonders gut, hinderliche Muster zu erkennen und aufzulösen:

R – Recognize: Erkenne, was du gerade fühlst – ohne es zu unterdrücken.

A – Accept/Allow: Akzeptiere das Gefühl und nimm es an, ohne dich dafür zu verurteilen.

I – Investigate (with kindness): Frage dich: Woher kommt dieses Gefühl? Wer oder was hat es ausgelöst?

N – Non-identify/ Natural awareness: Stelle klar, dass du als Person nicht deine Gefühle bist. Du hast es – und kannst dich davon lösen.

Diese Methode stammt ursprünglich aus der achtsamkeitsbasierten Verhaltenstherapie (vgl. Neff & Germer, 2013) und wird bis heute in der Stressbewältigung und Traumatherapie eingesetzt.

Wie du deine mentale Stärke trainierst – im Alltag und ohne Druck

Wem diese Methode bereits zu weit geht, der kann auch ganz unterschwellig anfangen, Stressoren zu identifizieren und schrittweise loszulassen. Mentale Klarheit zu gewinnen, ist kein Privileg einiger weniger, sondern reines, mentales Training. Nicht Perfektion, sondern kleine, sich wiederholende Rituale machen dabei den wesentlichen Unterschied aus. 

Folgende Mikro-Übungen können bereits helfen und einen guten Einstieg bilden:

  • Morgens: Drei bewusste Atemzüge im Sitzen, Augen geschlossen halten, Körper wahrnehmen (wer in Yoga oder der Meditationspraxis bewandert ist, kann sich hier auch an einen Bodyscan wagen)
  • Vor Meetings: Kurz aufstehen, Arme ausschütteln, „Reset-Knopf“ drücken.
  • Abends: Reflektieren: „Was hat mir heute gut getan – ohne Zweck oder Bewertung?“ Für die Fortgeschrittenen Lesenden: Ein Dankbarkeitstagebuch führen, denn verschriftliche Gedanken sind um einiges wirkungsvoller als reine, mentale Gedankenspiele.

Diese Alltagsrituale wirken erwiesenermaßen stärkend auf Selbstwahrnehmung und Resilienz (Kabat-Zinn, 2003; Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie, 2021) und sind leicht in jeden (Arbeits-)Alltag zu integrieren,

Du brauchst nicht mehr Disziplin – sondern mehr Verbindung

Innere Stärke heißt nicht, alles mit Trackern, Plänen und To-do-Listen noch mehr zu kontrollieren und stets bemüht zu sein, effizienter zu werden. Es bedeutet stattdessen, inmitten des äußeren Trubels den Zugang zu sich selbst zu bewahren. Präsenz, Fokus und Selbstmitgefühl bilden hierbei die Basis, um nachhaltig leistungsfähig zu bleiben – ohne sich selbst zu verlieren.

Die gute Nachricht ist also: 

„Du musst dich nicht ständig neu erfinden, aber du darfst loslassen, was dich schwächt – und kultivieren, was dich stärkt.“

Quellen

  • BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2020): Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt.
  • Bravata, D. M., et al. (2020): Prevalence, predictors, and treatment of impostor syndrome: a systematic review. J Gen Intern Med.
  • Deutsche Gesellschaft für Achtsamkeit (2020): Wirkung von Achtsamkeit im Berufsalltag.
  • Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (2021): Mikrointerventionen im Alltag.
  • Hölzel, B. K. et al. (2011): How does mindfulness meditation work? Perspect Psychol Sci.
  • Iyengar, S. S. & Lepper, M. R. (2000): When choice is demotivating. J Pers Soc Psychol.
  • Kabat-Zinn, J. (2003): Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR.
  • Kanske, P., Heissler, J. et al. (2017): Emotionale Selbstregulation – was funktioniert? Universität Gießen.
  • Neff, K. D. & Germer, C. (2013): Selbstmitgefühl – Das Übungsbuch. Arbor Verlag.
  • Scheffel, K. et al. (2022): Entscheidungsüberlastung in der digitalen Arbeitswelt. Fraunhofer IAO.
  • Schmidt, B. et al. (2021): Digitales Multitasking und Stressbewältigung. Universität Konstanz.
  • Stark, L. et al. (2022): Selbstwirksamkeit stärken durch Reflexionsmethoden. Ruhr-Universität Bochum.
  • TK – Techniker Krankenkasse (2021): Entspann dich, Deutschland – TK-Stressstudie.
  • Zijlstra, F. R. H., et al. (2014): Mental fatigue and working memory performance. J Occup Health Psychol.

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