„Das versuche ich vielleicht später.“
„Das geht im Augenblick nicht.“
„Jetzt ist nicht der richtige Moment dafür.“
Solche und ähnliche Aussagen begegnen mir im Coaching nahezu täglich und ich frage mich:
Was, wenn es kein „Später“ gibt? Was, wenn wir stets versuchen Herausforderungen, Veränderungen und Wünsche in einen unbestimmten Punkt n die Zukunft zu verlegen und niemals die Gelegenheit erhalten, diese tatsächlich zu erleben?
Zu meinen Freundinnen sage ich dann spielerisch: „Das Leben ist zu kurz, wir sollten mit dem Nachtisch beginnen.“ Obwohl das eher humorvoll gemeint ist, um an die süße Leckerei zu kommen, ist doch etwas Wahres daran. Wir gehen oft einer vorgegebenen Reihenfolge nach, obwohl diese vielleicht gar nicht dem entspricht, was wir eigentlich wollen.
Wir leben im Zeitalter der Supereffizienz. Hierbei gilt es, sich möglichst lange beschäftigt zu halten, egal ob sinnvoll oder nicht. Manchmal kommt es einem so vor, als würden wir den größten Teil unseres Lebens in einem bewusstlosen und erinnerungslosen Zustand verbringen, mit dem Ziel, diesen irgendwann verlassen zu können.
Zeitarmut vs. Zeitreichtum
Es ist nicht verwunderlich, dass diese Entwicklung sich in unser aller Leben sich vollzieht. Früher gestaltete sich unsere Lebensplanung sequenziell, d.h. nacheinander – Kita, Schule, Ausbildung, Berufseinstieg, Heirat, Hausbau, Kinder, Wiedereinstieg, Rente. Heute versuchen wir alles gleichzeitig zu erreichen und versinken in der Fülle an Möglichkeiten sowie Erwartungen an uns. Der Lebensstress lässt sich nicht durch Determination entzerren und setzt uns dadurch unter erheblichen Druck. Die Folge ist die zuvor beschriebene Zeitarmut. Wir sparen unsere Zeit, wie Überstunden auf einem imaginären Lebenskonto an, in der Hoffnung, diese später frei einlösen zu können. Währenddessen lassen wir uns von täglichen „Problemen“ okkupieren und verstehen nicht, dass sich aktiv mit unserer Lebenszeit auseinanderzusetzen auch bedeutet, sich aktiv mit dem Ende unseres Daseins zu beschäftigen. Wo bleibt das Abenteuer? Die Leidenschaft? Die Muße? Wo bleiben die Indikatoren, die uns Zeitreichtum schenken, weil sie keine Erwartung beinhalten?
Ist es denn wirklich so einfach, sich dem Fluchtreflex hinzugeben, d.h. sich vorzumachen, ewig zu leben, nur um sich nicht damit beschäftigen zu müssen, ob die Zeit, die unser Leben bedeutet, auch wirklich erfüllend genutzt wird? Es heißt: „Lebe dein Leben vom Ende aus und du weißt, wie du es gestalten möchtest.“ Anstatt uns also der Supereffizienz hinzugeben und dadurch „beschäftigt“ zu halten, sollten wir uns vom geschäftigen Zeitjunkie zum endlichkeitsbewussten Menschen entwickeln und die Sekunden, die vergehen, wertzuschätzen lernen.
Wie Sie die eigene Zeit souverän in die eigenen Hände nehmen
Doch wie können wir verhindern, dass Zeiträuber (Multitasking-Aufgaben, das ständige *PING* der Social Media Kanäle auf dem Handy, Menschen, die ständig unsere Aufmerksamkeit wollen, etc.) unsere Lebenszeit usurpieren und hierdurch unsere wertvolle Zeit stehlen oder gar unsere freien Stunden fragmentieren, indem sie auch diese für sich einnehmen?
Hierzu habe ich ein paar Reflexions-Tipps mitgebracht, um den Wert der eigenen Zeit nochmals genau zu analysieren und wieder die Souveränität über die eigene Zeit zurückzugewinnen.
8 Tipps um wieder Herr*in über die eigene Zeit zu werden:
1. Entschleunigung
Luftschlösser in die Luft zu malen, ist keine Zeitverschwendung. Diese Tätigkeit kann den berühmten „Affengeist“ entschleunigen und uns auf neue Ideen bringen. Wir sollten also versuchen unsere Trägheitsaversion loszulassen und uns gänzlich der Muße hingeben – Hier, können wir eindeutig etwas von Kindern dazulernen, denn diese sind wahre Meister*innen des Flows und der Muße.
2. Bewegung
Unser Geist ist ein kreatives Mastermind, entsprechend sind Binge-Watching-Abende eine recht schnöde Beschäftigung, um diesen auf Trab zu halten. Versuchen Sie sich selbst geistig in Bewegung zu halten, entweder indem der Körper vorgehen (Sport) oder Teile Ihres kreativen Geistes angeregt werden. Beispiele können neu erlernte Eigenschaften sein, wie Nähen, Schreiben, Malen oder Musizieren. Sie werden feststellen, dass sie noch während der Ausübung dieser Tätigkeit das Gefühl haben, etwas Spannendes und sinnvolles mit Ihrer Lebenszeit angefangen zu haben.
3. Zeit und Geld in Gleichgewicht bringen
Schreiben Sie sich auf, womit Sie so täglich Ihre Zeit füllen. Neben den überlebenswichtigen Dingen, wie Schlaf, Nahrungsaufnahme, körperliche Bedürfnisse, etc. kommen eventuell noch die (ebenfalls notwendigen) beruflichen Aufgaben hinzu. Was passiert jedoch darüber hinaus? Was können Sie delegieren, was vielleicht gänzlich abgeben? Welche Aufgaben wiederholen sich vielleicht wöchentlich, die sie neu gestalten können? Besteht die Möglichkeit, dass sie sich steuerlich Unterstützung holen, eine Reinigungskraft beschäftigen, die Erziehungsaufgabe auf mehrere Schultern verteilen oder berufliche Aufgaben agil anpassen können? Geld lässt sich stets verdienen, doch die Sekunde, die gerade vorbeigegangen ist, erhalten Sie nie wieder zurück, versuchen Sie also ein gesundes Zeit-Geld-Verhältnis zu etablieren.
4. Planung
Erinnern Sie sich noch, wie Ihre Eltern (oder Sie selbst) sich die Schulsachen und die Kleidung für den kommenden Tag rausgelegt haben? Kehren wir zurück zu dieser Planungssicherheit, denn letztlich „spart“ sie uns eine Menge Zeit. Natürlich lässt sich nicht alles planen, schließlich soll und kann das Leben auch unerwartet bleiben, um uns stets überraschen zu können. Manchmal hilft es jedoch, tägliche Dinge (Kleidung, Essen, Hobbies, etc.) einfach vorauszuplanen, um den Kopf freizubekommen, für die wirklich wichtigen Dinge. Übrigens: Auch Pausen sollten aktiv geplant werden, denn sonst stolpern wir wieder sehenden Auges in die „Effizienzfalle“.
5. Zeiträuber verbannen
Ein alter, aber effektiver Trick. Setzen Sie bei manchen Apps ruhig mal die Snooze-Taste ein, um hier ein wenig Abstand von dem ständigen Gebimmel zu erhalten. Dies gilt im Übrigen auch für Menschen, denn wir kennen alle diesen Menschen, der gerne Klatsch verbreitet und uns dadurch in Zeitverzug bringt oder die eine Freundin, die stets anruft, um über ihr herausforderndes Leben zu berichten. Natürlich können Sie das nicht immer verhindern und sozialer Kontakt ist auch sehr wichtig, aber nur, wenn Sie danach nicht das Gefühl haben, einen Marathon gelaufen zu sein. Sie können solche Treffen, Gespräche charmant planen: „Du hör mal, wollen wir das vielleicht am (Tag/Zeit Ihrer Wahl) intensiver bei einem Kaffee besprechen? Ich möchte mich dir da voll und ganz mit meiner Aufmerksamkeit widmen.“ Natürlich kann das Ablehnung nach sich ziehen, aber auch das gehört dazu, wenn man sich und seine Zeit schützen möchte.
6. Nein sagen
Dies führt mich direkt zum nächsten, scheinbar banalen Thema: Sie wissen mit Sicherheit, dass zu anderen Menschen Nein zu sagen, auch bedeutet, zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen Ja zu sagen. Lassen Sie sich nicht für das Backen von Muffins, für die Schwimmgruppe, für die Vereinsleitung oder Projekt XY einspannen, wenn Sie genau wissen, dass sie das nur aus Gefälligkeit und nicht aus Überzeugung machen. Sie sind niemanden etwas schuldig (übrigens auch nicht den eigenen Eltern, aber das wäre nun ein anderes Feld). Verschieben Sie Antworten nicht auf später, denn der Gedanke hier noch eine Entscheidung treffen zu müssen, raubt Ihnen ebenfalls Zeit auch wenn Sie glauben, Sie hätten hier vorerst etwas Zeit gewonnen.
7. Entdecken Sie altes neu
Manchmal ist uns unser eigenes Leben ein wenig zu viel, was natürlich auch mit dem ewigen Vergleich auf den Sozialen Medien zu tun hat. So fühlen wir uns gefangen in unseren alltäglichen Trott: Gleiche Arbeit, gleiche familiäre Herausforderungen, gleiche Stadt, gleiche Aufgaben, etc. Stellen Sie sich vor, Sie wären in Ihrem eigenen Leben zu Besuch, wie würde ein/e Tourist*in Ihr Leben betrachten? Was würden Sie jemanden in Ihrer Stadt zeigen, der/die einen Tag lang zu Besuch ist? Was würden Sie essen? Was würden Sie unternehmen? Was würden Sie einander erzählen? Sprechen Sie alle Sinne an und Sie werden bemerken, dass jenes, was für uns alltäglich ist, durch Erinnerung und Perspektivwechsel erneut an Glanz gewinnt.
8. Schätzen Sie den Neuanfang
Manchmal sagen meine Kundinnen/Klientinnen zu mir: „Ich habe so viel meiner Zeit verschwendet.“ Geben Sie sich nicht diesem kontrafaktischen Denken hin, denn Sie können vergangenes nicht ändern, also richten Sie Ihren Blick nach vorn. Wenn Sie feststellen, dass die Tipps 1-7 in Ihrem bisherigen Leben keinen Platz gefunden haben, dann ist das nicht schlimm, denn Sie können jeden Tag von neuem entscheiden, wie sie Ihre 24 Stunden gestalten möchten. Auch wenn es manchmal durch Verpflichtungen (Beruf, Familie, Kredite, etc.) so scheint: Glauben Sie niemals der Mär, dass Sie in Ihrem Leben gefangen sind. Sie haben alle Möglichkeiten, Ihr Leben neu zu gestalten, suchen Sie jederzeit nach Möglichkeiten und nicht nach potenziellen Gründen, warum es schwierig werden könnte.
Falls Sie sich jetzt ein wenig ertappt fühlen und das dringende Bedürfnis haben, diesem unbewussten Zustand des zeitlichen Dahinlebens entgegenwirken zu wollen, ist das ein völlig natürlicher Wunsch. Manchmal brauchen wir einen kurzen Impuls, um uns daran zu erinnern, was uns wichtig im Leben ist. Sollten Sie hier Widerstand, Ängste oder vielleicht sogar Orientierungslosigkeit spüren und nicht wissen, wie Sie die ersten Schritte gehen sollen, lassen Sie uns gerne ins Gespräch kommen.
Lassen Sie uns aus der gelernten zeitlichen Hilflosigkeit gemeinsam ausbrechen und entdecken, wie viele Wunder das Leben noch für Sie bereithält, denn wie sagte Robert Abraham Moawad zu schön:
Der beste Tag deines Lebens ist der, an dem du entscheidest, dass dein Leben dein eigenes ist.
Robert Abraham Moawad