Ich hasse Bewerbungsprozesse und Mitarbeitergespräche! Finden Sie das radikal? Dann lade ich Sie herzlich zum folgenden Diskurs bezüglich Human Resources (HR) ein.
Seien wir doch mal ehrlich: In Bewerbungsprozessen hat ein wertschätzendes, freundliches und auf Augenhöhe stattfindendes Gespräch eher Seltenheitswert.
Für angehende Arbeitnehmerinnen ist es oftmals ein Drahtseilakt zwischen authentischem Auftreten und Schauspielschule. Dies hat vor allem mit den kuriosen und tradierten Gegebenheiten unserer Arbeitswelt zu tun.
Ihnen fällt keine spontane Geschichte dazu ein. Nun hier finden Sie einige Beispiele:
- Der Klassiker bei uns Frauen: Die Frage nach der Familienplanung, der Auslastung des Partners oder einer möglichen Kinderbetreuung
- Die völlig überhöhte und unrealistische Erwartungshaltung an die Bewerberinnen: Da sollten es gerne zehn Jahre Berufserfahrung mit der passenden Spezialisierung und Auslandserfahrung sein. Bestenfalls besteht noch ein erfolgreich absolviertes Studium mit der Abschlussnote 1.0. Einziger Wermutstropfen: Das Gehalt auf der anderen Seite übersteigt kaum das eines Trainees
- Unverhältnismäßige Anforderungen: Unvergütete Überstunden, lange Fahrtwege, ständige Flexibilität und selbstverständlich absolute Bereitschaft für jedes Projekt umgehend Feuer und Flamme zu sein und sich dafür freiwillig zu engagieren
- Fazit: In vielen Bewerbungsgesprächen geht es bereits zu Beginn um Abhängigkeiten, eine übersteigerte Erwartungshaltung und offen gezeigte Machtgefüge
Eine Möglichkeit: „Turn the Table“
Haben Sie sich schon einmal gewünscht im Bewerbungsprozess auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen?
Ich habe diesen Wunsch sehr oft verspürt und ihn mir mit meiner eigenen Unternehmensgründung auch erfüllt.
Und ich kann Ihnen nach der Zusammenarbeit mit inspirierenden Fach- und Führungskräften sowie innovativen Unternehmen sagen: Meine Vermutung war korrekt, denn Human Resources (Personalwesen) geht auch anders.
Es ist möglich, Arbeitgeberin und Bewerberin zugleich ein gutes Gefühl während des Bewerbungsprozesses zu vermitteln. Die klare Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich nicht nur auf einzelne „Hard Facts“ konzentriert wird, sondern auf den Wertschöpfungsprozess an sich.
Stellen Sie sich somit als Arbeitgeberin vor allem folgende Fragen:
- Wie ist diese Person auf uns und unser Unternehmen aufmerksam geworden? Welcher Teil meiner Geschichte hat das Interesse dieser Bewerberin geweckt?
- Welche Verantwortung trage ich als Arbeitgeberin, um meiner Aufgabe gerecht zu werden? Welche Werkzeuge (Förderprogramme, Arbeitszeiten, Vergünstigungen etc.) und welche Führungsqualitäten habe ich zur Verfügung, um noch attraktiver und inspirierender zu werden?
- Wie kann ich diesen Prozess des Bewerbens spannend und abwechslungsreich gestalten, sodass sich meine zukünftige Kollegin oder mein zukünftiger Kollege willkommen fühlt?
- Welche tradierten Gewohnheiten hindern mich bei der Veränderung dieses Systems und wie kann ich dem entgegenwirken?
Über Human Resource und Active Sourcing
Da wir bereits offen über dieses Thema sprechen, möchte ich weiterhin ehrlich zu Ihnen sein:
Wenn Ihnen das zu viel Mühe bereitet, dann sollten Sie sich nicht mit wertschöpferischem Human Resource Managament oder Active Sourcing beschäftigen, sondern sich mit Bewerberinnen zufriedengeben, die Ihnen am Ende gar nicht begründen können, warum Sie überhaupt bei Ihnen arbeiten.
Ich möchte mit diesem Artikel nicht mit dem Finger auf Headhunterinnen oder Arbeitgeberinnen zeigen, denn ich verstehe aus eigener Erfahrung die Vorbehalte, Ängste und (vermutlich einer der wichtigsten Faktoren) die mangelnde Zeit.
Nichtsdestotrotz möchte ich dafür plädieren, dass in einer Arbeitswelt, in welcher jeder um die Gunst der besten High Potentials bemüht ist, Zeit ein wesentlicher Faktor ist, um diese auch von sich zu überzeugen.
Wie möchten Sie als Arbeitgeberin wahrgenommen werden?
Stellen Sie sich für einige Momente vor, sie würden auf der anderen Seite des Tisches sitzen: Würden sie sich über Standardfragen („Was sind denn Ihre Stärken und Schwächen?“), eine strenge und oftmals veraltete Arbeitspolitik („Wir erwarten“ / „Bei uns ist es seit Jahren so, dass….“) und mangelnde Wertschätzung („Das Einstiegsgehalt in Ihrer Position ist…“ / „Homeoffice ist nicht vorgesehen“) wünschen?
Ich nehme an die Antwort ist hier eindeutig. Jeder möchte eine inspirierende Persönlichkeit sein, die andere fördert, ihnen kreativen Raum lässt und eine wertschätzende Fehlerkultur pflegt, auch wenn sich die Umsetzung hierbei manchmal etwas schwierig gestaltet und oftmals zeit- und kostenintensiv ist.
Doch denken Sie daran: Niemand möchte von einer Maschine eingestellt werden. Arbeitnehmerinnen sehnen sich nach Kommunikation, Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Förderung und Sie haben alle Möglichkeiten, um dieser Erwartung gerecht zu werden.
Bye Bye unsicherer Bewerbungsprozess – Willkommen partnerschaftliche Kooperationsbeziehung
Im Folgenden möchte ich meine vier Tipps für einen spannenden und wertschätzenden Bewerbungsprozess mit Ihnen teilen:
1. Treffen Sie Ihre Vorauswahl sowohl durch eigene Intuition, als auch datenbasiert
Automation ist das große Buzzword unserer Zeit. Geben Sie jedoch eine so wichtige Entscheidung, wie die Auswahl Ihrer Mitarbeiterinnen ausschließlich in die virtuellen Hände eines Computers, so lassen Sie sich die Chance entgehen, spannende Persönlichkeiten kennenzulernen. Menschen möchten mit Menschen arbeiten. Haben Sie daher Vertrauen in Ihre eigene Intuition und nutzen Sie datenbasierte Software als Ergänzung.
2. Gestalten Sie einen spannenden Auswahlprozess
Lassen Sie gängige Standardfragen weg, gehen Sie mehr in die Praxis. Bieten Sie zum Beispiel ein Jobshadowing an. Dies bedeutet, dass die Kandidatin einen Tag lang beobachten, Fragen stellen und mitarbeiten darf. Anders als eine Probearbeit geht es nicht darum, dass die Arbeitgeberin jemanden „testet“, sondern die Kandidatin hinter die Kulissen schauen darf. Auch die Mitnahme von potenziellen Kandidatinnen auf eine Konferenz oder zu einem Workshop kann Ihnen viele Eindrücke verschaffen, die Sie im alltäglichen Prozess nicht zu sehen bekommen. Bewerbungsgespräche, Probearbeiten etc. sind keine natürlichen und alltäglichen Situationen, weshalb auch ein außerordentliches Verhalten gezeigt wird.
3. Zeigen Sie sich als wertschätzende Führungskraft
Freundlichkeit ist keine Wertschätzung. Letztere setzt voraus, dass über den Tellerrand hinweggeschaut wurde und man die Person systemisch (also ganzheitlich) betrachtet. Mitarbeiterinnengespräche sind oft der Albtraum aller Arbeitnehmerinnen. Sie sind überwiegend einseitig (Top-Down), enthalten eine Bewertung nach Schulnoten und wirken demotivierend. Besser wäre es, Entwicklungsgespräche zu führen. Anstatt zu schauen, wo die Mitarbeiterin Defizite besitzt und Handlungsbedarf besteht, fragt man sich eher: Welches Potenzial sehe ich? Wie kann ich gezielt fördern? (Hier können Sie sich einige Anregungen holen) Was wünscht sich die vor mir sitzende Person? Hierbei kann man tatsächlich auch physisch die Stühle tauschen und so einen Perspektivwechsel vornehmen.
4. Nutzen Sie Ihr soziales Kapital und kommen Sie in Handlung
Mein letzter Tipp ist zugleich mein wichtigster. Ich erfahre als Coach regelmäßig, dass Versprechen, die Arbeitnehmerinnen gemacht wurden, weder zu Beginn, noch im Verlauf der Anstellung erfüllt werden. Sie können sich vermutlich denken, wozu dieses Verhalten führt: Richtig. Die meisten Arbeitnehmerinnen gehen. Verbindlichkeit ist ein wichtiger Faktor innerhalb der Arbeitswelt, dies gilt sowohl für Arbeitnehmerinnen als auch für Arbeitgeberinnen. Wenn sich Mitarbeiterinnen Ihrem Unternehmen zugehörig fühlen und Ihnen Ihr Vertrauen, Ihre Zeit und Ihre Arbeitskraft schenken, so dürfen Sie Ihr soziales Kapital nicht verspielen, indem Sie gegebene Versprechen nicht einhalten. Keine Verzögerungstaktiken oder Entschuldigungen – kommen Sie in Handlung, denn nur so entsteht auch auf der anderen Seite ein Verständnis für die gemeinsame Geschäftsbeziehung und dies führt zu einem gestärkten Selbstwert auf beiden Seiten.
Fazit
Ich verspreche Ihnen eines: Ihr Investment wird im Wert steigen. Glückliche Mitarbeiterinnen sind wie ein Aushängeschild oder eine Markenbotschafterin für Ihr Unternehmen und werden dafür sorgen, dass Sie zukünftig bei spannenden sowie motivierten Arbeitnehmerinnen im Ansehen steigen und als attraktive Anlaufstelle für Kreativität, gute Führung und Innovation angesehen werden.
Nachgefragt:
Auf welche Art und Weise fördern sie Ihre Mitarbeiterinnen gezielt? Welche spannenden Möglichkeiten haben Sie vielleicht schon genutzt, um den Bewerbungsprozess oder vielleicht den späteren Arbeitsprozess interessanter zu gestalten?
Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit der Community und lassen Sie uns gemeinsam eine wertschöpfende Arbeitswelt gestalten.